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Demokratische Widerstandsfähigkeit in Zeiten der Krise

Laut dem Bericht „Varieties of Democracy“ aus dem Jahr 2024 gibt es weltweit derzeit 91 Autokratien und 88 Demokratien. Noch auffälliger ist, dass 72 Prozent der Weltbevölkerung – drei von vier Menschen – unter autokratischer Herrschaft leben, ein Niveau, das seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr erreicht wurde. Der Niedergang der Demokratie wird nicht durch Staatsstreiche oder ausländische Feinde verursacht, sondern durch gewählte Politiker, die Institutionen untergraben, die Gewaltenteilung schwächen und die bürgerlichen Freiheiten einschränken.

Tamara Ehs argumentiert, dass die Demokratie zu kämpfen hat, weil die Gesellschaften durch sich überschneidende Krisen – wirtschaftliche Stagnation, Inflation, Klimawandel, demografischer Wandel und Migration – erschöpft sind. In solchen Zeiten werden die Bürger ungeduldig angesichts der langsamen Prozesse der Demokratie und lassen sich von „starken Männern“ verführen, die schnelle Lösungen versprechen.

Um dem entgegenzuwirken, betont Ehs die Idee der demokratischen Resilienz: die Fähigkeit einer Gesellschaft, Krisen zu widerstehen, ohne in Autokratie zu verfallen. Dazu gehört die Stärkung von Gerichten, Medien und Zivilgesellschaft, aber auch die Konzentration auf die lokale Ebene, wo Demokratie oft ihren dynamischsten Ausdruck findet. Städte sind die neue Frontlinie – Orte wie Budapest, das eine liberale Enklave innerhalb eines illiberalen Staates bleibt, oder der Pakt der Freien Städte, in dem Bürgermeister aus Mitteleuropa zusammenarbeiten, um europäische Werte und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.

Städte können die Demokratie nicht alleine retten, aber sie können zeigen, dass sie funktioniert – durch offene Regierung, partizipative Haushaltsplanung und klimafokussierte lokale Maßnahmen. Ehs bezeichnet diese Kombination aus Stadtdemokratie und Stadtdiplomatie als die nächste Grenze der demokratischen Erneuerung, an der Kommunen voneinander lernen, demokratisch zu bleiben, auch wenn ihre Nationen ins Straucheln geraten.

Resiliente Demokratien sind solche, die sich anpassen, ohne ihre Prinzipien aufzugeben. Anstatt nach Rückschlägen auf den Wiederaufbau zu warten, müssen Gesellschaften laut Ehs jetzt die demokratische Kultur stärken – denn Prävention ist viel einfacher als Wiederherstellung.

Info:

Tamara Ehs

Politikwissenschaftlerin und Beraterin in Wien und Brüssel